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Santiago

"Seit Anbeginn der Zeit hat Gott die Wunder der Welt geschaffen. Als er fertig war, sah er, dass er viele Abschnitte übrig hatte. Es verblieben Teile von Flüssen und Tälern, von Ozeanen und Seen, von Gletschern und Wüsten, von Bergen und Wäldern, sowie von Wiesen und Hügeln. Anstatt diese Schönheiten zu verschwenden, hat sie Gott zusammengesetzt und daraus den abgelegensten Winkel der Erde gemacht. Dies ist, wie das Land Chile entstand." Erzählt nach einer chilenischen Legende. Die Gegensätze könnten kaum größer sein - gestern noch in Juliaca und Umgebung in Peru und heute in dieser pulsierenden 7 Millionenmetrople Santiago de Chile. Zürich, Paris, Berlin und vielleicht noch Wien können sich mit dieser Stadt in Ansätzen messen. Breite, mit schattenspendenden Alleen versehene Straßen, ausgedehnte Fußgängerzonen, ein Wirtschaftszentrum mit verglasten Hochhäusern (ein Tower ist mehr als 300 m hoch und damit das höchste Gebäude Südamerikas), das hier den Spitznamen "Sanhatten" trägt, ausgedehnte Parks und einen bewaldeten Hügel mitten in der Stadt der eine herrliche Aussicht in alle Himmelsrichtungen bietet. Am Horizont erscheinen die schneebedeckten Sechstausender, die trotz Klimawandel auch jetzt im Hochsommer ihre weiße Hülle behalten. Eine Autostunde von Santiago entfernt gibt es ausgedehnte Schigebiete, in denen man zwischen Juni und September sehr gut Schifahren kann. Den Pazifik samt seinem Fischreichtum erreicht man in weniger als 2 Autostunden und das Kulturangebot der Stadt - insbesondere die zahlreichen Museen - können mit den europäischen Kulturhauptstädten jederzeit mithalten.

Die Bewohner der Stadt haben mannigfaltige Wurzeln - aus allen Ländern Europas, aus den lateinamerikanischen Nachbarstaaten, integrierte indegene Gruppen und derzeit wandern zahllose Venezuelaner und Haitianer ein. Bislang funktioniert die Integration, vor allem auch deshalb, weil die Wirtschaft des Landes so dynamisch wächst und alle Einwanderer sofort in den Arbeitsprozess integriert werden. Dies könnte ein Vorbild für die heimische Integrationspolitik sein, allerdings muss vorher die Überregulierung in Europa zurückgefahren werden, um mit der daraus resultierenden Dynamik auch die nötigen Arbeitsplätze zu schaffen.

Was unsere heutige Stadtführerin Anne Marie (68) und mich betrifft kann man nur sagen: da haben sich zwei verwandte Seelen gefunden. Touristen, die lieber der fast einstündigen Parade vor dem Präsidentensitz zusehen, als durch die Stadt zu schlendern machen ihr weniger Spaß. Viel lieber erzählt sie über die Unabhängigkeitsbewegung, die 1810 die Schwäche Spaniens in Folge der Napoleonischen Kriege ausnutzte und einen mehrjährigen, erfolgreichen Unabhängigkeitskrieg führte - einer ihrer Vorfahren war daran maßgeblich beteiligt. Wir sprachen auch über den Pazifischen Krieg (Salpeterkrieg 1878) zwischen Chile auf der einen Seite und Bolivien und Peru auf der anderen Seite. Der Krieg endete mit einem chilenischen Sieg, in Folge dessen sich Chile umfangreiche, sehr rohstoffreiche Gebiete im Norden des heutigen Chile einverleibte - dadurch verlor Bolivien seinen teritorialen Zugang zum Pazifik. Vor allem aber sprachen wir über den vom US Geheimdienst mitorganisierten Militärputsch gegen Präsident Allende und dessen Ermordung 1973, über das Pinochet Regime, über die 20.000 Verschwundenen, über ihre 15 jährige Emigration nach Berlin und Madrid und über die Wiedereinführung der Demokratie im Jahr 1985, über ihre Rückkehr und die Aufbruchsstimmung die danach das ganze Land nach vorne brachte.

Am späten Nachmittag legten wir dann eine kurze Verschnaufpause ein und spazierten zum Abendessen ins Kultur-, Studenten- und Ausgehviertel "Bellavista". Wir genossen herrliche Fischspezialitäten - Beate aß ihre besten Schrimps ever - beobachteten am Nachhauseweg die unzähligen Turn- und Yogagruppen in den Parks und natürlich auch die umfangreichen Vorbereitungsarbeiten zum Formel E Rennen am 3.2.2018 im Zentrum Santiagos. Nicht unerwähnt bleiben darf der sensationell gute Wein hier - heute probierten wir den Sauvignon blanc und den Cabernet Sauvignon. Morgen werden wir einige Weingüter auf unserem Weg nach Süden besuchen, leider dürfen wir dabei als Autofahrer nichts verkosten.